Der Kinderknast von Lesbos


Ich schlafe heute oben, ich habe heute Glück
Doch Nayem sagt seit gestern, er wolle nach Afghanistan zurück.
Und 160 Ärsche, die teilen sich ein Klo
Das hier ist ein Gefängnis auf Lesbos irgendwo

Hier rinnt von den Toiletten, quer durch den ganzen Raum
Ein Rinnsaal nach rechts unten und fließt hinein in den Martratzensaum
Wir sind hier an die 1000, 300 hätten Platz
Im linken Eck ganz oben, da schläft, wer Muskeln hat.

Und keine Nacht ist traumlos, und keine ohne Wind
Die nennen mich hier Krieger, und dabei bin ich 16, fast ein Kind, fast ein Kind

Und ich träum von unserm Schlauchboot, dahinter die Türkei
Ich seh die Küstenwache und ich höre ihren Schrei.
Die werfen uns ein Seil zu, wir sind in Griechenland
Allah wir sind gerettet, der Mann gibt mir die Hand.

Er greift mir in die Hose, ein klein wenig zu fest
Nimmt mir zwei Münzen ab und findet auch den Rest
Wirft mich zurück ins Schlauchboot, der Schreck macht einen lahm
Schleppt es ins Meer zur Küste ins Land, woher ich kam

Dann hör ich einen Schuss, einer von uns ist tot
Nein wir verlieren Luft, er zielte auf das Boot.
Hier gleich hinter der Grenze verschlingt uns jetzt das Meer
Er schläft heut in Europa, und mir werden die Arme langsam schwer

Doch ich bin stark und schwimme, ich gebe niemals auf
Wenn’ s sein muß raste ich auf Kinderleichen aus
Ich habe mich gerettet in jener stillen Nacht
Ich hab’ es bis nach Lesbos zum Kinderknast gebracht

Ich schlafe heute oben, ich habe heute Glück
Doch Nayem sagt seit gestern, er wolle nach Afghanistan zurück.

 


Text: Georg Clementi inspiriert von Der Kinderknast von Lesbos von Roland Kirbach, DIE ZEIT Nr.6 vom 04.02.10
Musik: Sigrid Gerlach-Waltenberger / Georg Clementi

Für sein Dossier "Der Kinderknast von Lesbos" hat Roland Kirbach 2010 den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie >Beste politische Reportege< erhalten.

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