Ich träume

Ich habe einen Traum.

Ich träume von Berlin am Meer dahinter stehn die Alpen.
Und davon, dass der Winter nicht acht Monate lang wird.
Ich träume davon, Schnaps zu brennen, irgendwo im Süden.
Und dass mein Traktor mit sechs Stundenkilometern fährt.

Ich träume davon, noch einmal als Kind im Gras zu liegen
Und wie die Stimmen meiner Großeltern mich leise wiegen.
Und Harald Schmidt erklärt mir, was man mit den Händen macht,
W
enn man da steht und man redet und am End gar keiner lacht.

Ich träume.
Ich träume.
Ich träume.
Ich habe einen Traum.

Ich träum davon ein Fest zu feiern, wie in den Siebz'ger Jahren.
Von einem Song, der schlechte Laune und den Herbst vertreibt.
Von einem niederschwelligen Nachholkurs für Kommaregeln.
Und dass nichts auf der Welt den Steuersatz nach oben treibt.

Im Halbschlaf träume ich, dass meine Tochter endlich durchschläft.
Ich träume, dass mein Bruder keinen Liebeskummer hat.
Und von drei Wochen Urlaub ohne Internetzugang.
Von ehrlicher Musik und von der autofreien Stadt.

Ich träume.
Ich träume
Ich träume.
Ich habe einen Traum.

Ich träum ich wache auf und merk, dass alles nur ein Traum war.
Der Krieg und auch die Armut, die Krankheit ist passé.
Ich träume, dass ich täglich lach und alte Freunde treffe.
Und endlich eine neue Staffel 24 seh.

Ich träum von einem DJ, der mich immer wieder umhaut.
Dass gegen Lobbyismus endlich was erfunden wird.
Ich kenn mich plötzlich über Nacht mit jedem guten Wein aus.
Und ich träum davon, dass Vater nie mehr wieder Schmerzen spürt.

Ich träume.
Ich träume.
Ich träume.
Ich habe einen Traum.

Ich träum, dass ich schon siebzig, aber immer noch gesund bin.
Ich träum von meinen Eltern, von Glück und Lebenswille,
Dass Tabak-Rauch gesund wär und ich kaufe mir ein Rad.
Und neben alledem träum ich vor allem von der Stille. 

Ich träume...

Text: Georg Clementi inspiriert von Wir haben einen Traum von der Redaktion des ZEITmagazins Nr. 42 vom 14.10.10
Musik: Georg Clementi / Tom Reif / Sigrid Gerlach-Waltenberger

 


Normalerweise heißt die Rubrik im ZEITmagazin Ich habe einen Traum und ein prominenter Zeitgenosse schildert seine Träume. Die die uns inspiriert hat, hieß Wir haben einen Traum, weil sie von der gesamten Redaktion des ZEITmagazins geschrieben wurde.

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